Computational Methods in Law

Steuerberatung 4.0: Fordernder, Facettenreicher, Wertvoller

(Zuerst veröffentlicht auf taxtech.blog am 09. Mai 2018)

Traditionelle Technologieführerschaft der Steuerberatung

Steuerberater gehören seit dem frühen Lochkartenzeitalter zu den Early Adopters der IT-Entwicklung. Manche gründe­ten bereits in den 1960er und 1970er Jahren eigene Soft­ware­unter­neh­men, andere spürten frühzeitig Trends nach oder engagierten sich experimentierfreudig als Pilotanwender. Die DATEV e.G. und viele ihrer Wettbewerber wa­ren Eigeninitiativen technikaffiner Beraterinnen und Bera­ter. In ein­zelnen Bereichen ge­hörte der Berufsstand sogar in der Breite zu den In­novationstreibern. Ein Vorläufer der Breit­band­technologie, ISDN („Inte­grier­tes Sprach- und Datennetz“ mit bis zu 160 Kilo-[sic!]-bit/s), fand maßgebliche Verbrei­tung durch die Nachfrage aus der Steu­erberatung („In Sekun­den Datev Nutzen“). Im technologischen Wettbewerb, insbesondere im Be­reich von Buchführungsdienst­leistungen und Steuer­deklaration, war die Steuerbera­tung meist einen Schritt voraus.

Verändertes Wettbewerbsumfeld

Für Rationalisierung durch Digitalisierung bietet aber gerade das Brot und Butterge­schäft der Buchführung und Steuerdeklaration viel Angriffsfläche. Die Verbreitung des Internet als Vermarktungsplattform, neue Recherchetools, neue Technologien der Be­legverarbeitung und moderne Ent­wicklung­sumgebungen erleichtern den Zugang für junge innovative Tax Tech-Unter­neh­men sowohl zum Markt der Mandate als auch zu Expertenwissen und Software­tech­nolo­gien. Hinzu kommt viel Risikokapital, das nach Anlagemöglichkeiten in innovative Ge­schäfts­modelle der Fintechs und Taxtechs sucht. Will die Steuer­be­ratung sich in diesem neuen Marktumfeld be­haup­ten, muss sie entweder auf bröckelnde regu­latorische Mauern vertrauen oder sich verändern.

  1. Kölner Steuerforum: Steuerberatung im Wandel

In Köln ist kürzlich auf einer gut besuchten Veranstaltung des Kölner Steuerforums mit frischen Gedanken reflektiert worden, wie diese Verände­rung in der Steuerberatung und in ih­rem Umfeld aussehen könnte. Bestätigt fand sich in den einleitenden Befunden aus der Wirtschaftsinformatik (Prof. Dr. Fettke, Universität Saarbrücken) und der Beratungs­­­praxis (Prof. Dr. Ley, Ebner Stolz) die These, dass der Erlösbeitrag der Buch­führungs­dienstleistungen und der Steuerdeklaration auch bei kleinen und mittleren Beratungs­unter­nehmen deutlich sinken wird. Aufhorchen ließen die Perspektiven, die sich aus den Funktionen des Steuerberaters als Berater und als Rechtsbeistand in Steuersa­chen ergeben. Die Rolle des Steuerberaters als Ratgeber des Unternehmers ist un­umstritten und deren Stärkung als Perspektive bereits viel diskutiert worden. Zu wenig reflektiert wurde aber bislang die Rolle des Steuerberaters bei der Verwirklichung der Grundrechte der Man­danten in einer digitalen Lebenswelt. Auf den Facettenreichtum und die Rolle des Daten­schutzes im Besteuerungsverfahren ist auch auf dieser Veranstaltung erst aus der Außen­perspektive der Recht­spre­chung (Prof. Dr. Mellinghoff, Bundesfinanzhof) hinge­wiesen worden.

Entwicklungshoheit der Finanzverwaltung – Steuerberatung als „Brückentechnologie“?

Die Finanzverwaltung erkennt die Potentiale der Digita­lisierung im quellennahen Zugriff auf Steuerdaten bei Dritten und im Aufbau großer zentraler Datensammlungen. Nach ELSTAM und KISTAM soll für die Grundsteuer die nächste bundesweite Datenbank auf­gebaut werden, ein zentrales Grundstücksverzeichnis verknüpft mit Eigentümer-Steuer-ID und Grundstückwerten. Die vorausgefüllte Steuererklärung wird mit Daten aus der Cloud der Finanzbehörden und Daten Dritter befüllt. Der Steuerpflichtige soll mit den ihn betreffenden Datenströmen möglichst nicht behelligt werden, sondern sich bequem in die staatlich bereitgestellte Cloud fallen lassen. Auch um Risiko­ma­nage­­ment­systeme braucht und soll er sich nicht küm­mern. Vorsorglich wird ihm der ungefilterte Einblick in die eigene Akte mit Ausnahme des „Frontend“ der vorausgefüllten Steu­er­erklärung verwehrt. Die Steuerberatung erfüllt in diesem Zukunfts­modell allenfalls die Rolle einer Brückentechnologie. Das gilt wohl auch für die Rechtsprechung. Gerichte sollen sich mit dem Recht auf infor­mationelle Selbstbestimmung im Besteuerungs­ver­fahren auch nach dem Willen des deutschen Steuergesetzgebers möglichst nicht be­schäftigen. Kommt Digitales Recht vielleicht sogar ganz ohne Gewaltenteilung aus?

Neugewichtung des Datenschutzes in der Steuer-Cloud

Mit der Neugewichtung des Datenschutzes in der Cloud, der öffent­lichen Diskussion über Facebook und Cambridge Analytica, eines wachsenden Bewusstseins für Corporate Digital Responsibility und eines omnipräsenten Systems des auto­ma­ti­schen Informationsaus­tausches mehren sich indessen auch die Fragen nach der Verhältnismäßigkeit an­schwel­­­­l­­ender Datenströme und zentraler Datenbanken der Finanz­behörden. Wiederentdeckt wird der Wert der Eigenverantwortung der Steuerpflichtigen in Steuer­deklaration und Steuer­verifikation. Lange übersehen, eröffnet sich hier ein neuer Auf­gabenbereich für die Steu­er­beratung. Buchführung und Steuerdeklaration war nie etwas anderes als die treu­hän­derische Erhebung, Verifikation, Aufbereitung und Weitergabe der Daten des Steu­er­pflichtigen in dessen Auftrag und Interesse an die Finanzbehörden. Diese Aufgabe ist nicht weggefallen, sie hat sich nur gewandelt. Sie ist anspruchsvoller geworden.

Steuerberatung 4.0: Beratung, Grundrechtsschutz und Datentreuhand

Steuerberatung 4.0 hat die Aufgabe, die Steuerpflichtigen im Prozess der Digitalisierung zu beraten und vor Eigenverantwortungsverlust zu schützen. Steuerberater werden gebraucht, um digitale Daten der Steuerpflichtigen von diesen und von Dritten entgegen­zu­neh­men, zu prüfen und geprüft an die Finanzbehörden weiterzugeben. Sie werden ge­braucht, um Auskunft einzuholen über die bei den Finanzbehörden gespeicherten Daten und sie werden ge­braucht, um die Algorithmen der Finanzbehörden zu verifizieren, nach denen diese Risikoprüfungen vornehmen, Schätzungen durchführen und Entschei­dungen treffen. Steuerberater sind unverzichtbar, um die Grundrechte der Steuerpflichtigen im Tagesgeschäft zu schützen und wo es nötig ist, den Rechtsweg zu empfehlen und zu begleiten. Wo diese Aufklärung und Begleitung fehlt, läuft in einem in die Cloud ver­la­gerten Besteuerungsverfahren der Steuerrechtsschutz leer, er wird nicht mehr gesucht. Der Rechtsstaat geriete in ein Ungleichgewicht, noch bevor über steuerlich motivierte Sach­ver­­haltsgestaltung und Anzeigepflichten für Steuergestaltungen gesprochen werden könnte.

Anforderungen an die Ausbildung und die Verantwortungsbereitschaft

Aus dieser anspruchsvolleren Funktion der Steuerberatung ergeben sich Anforderungen an die Ausbildung und die Verantwortungsbereitschaft. Mit dem Da­ten­schutz mussten sich Steuerberaterinnen und Steuerberater ohnehin seit jeher beschäftigen. Strenge Maßstäbe folgen nicht erst aus der Datenschutzgrundverordnung, sondern bereits aus dem Mandatsverhältnis. Lange schien Datenschutz als lästige Pflicht in eigenen An­ge­legen­heiten. Jetzt geht es aber darum, die Rechte der Steuerpflichtigen im Besteu­erungs­verfahren zu wahren und deren informationelle Eigenverantwortung sicherzustellen. Steu­erberater müssen Algorithmen verstehen und Datenströme nach­vollziehen können, um die Geltung des materiell wahren Sachverhalts gegen die bequemere Information aus der Cloud, gegen Wahrscheinlichkeitsurteile und Schätzverfahren zu verteidigen. Vielleicht wäre es gar sinnvoller, die Steuerberater würden die Veranlagung im Rahmen eines Selbstveranlagungsverfahrens selbst in die Hand nehmen, statt sich zukünftig mit Chat Bots der Finanzbehörden auseinanderzusetzen. Das setzt freilich Risiko- und Verantwortungs­bereitschaft voraus.

Der Ausbildungskanon im Wirtschafts- und Steuerrecht, in den volks- und betriebs­wirt­schaftlichen Grundlagen und im Rechnungswesen wird jedenfalls noch stärker um Ele­mente der Unternehmensführung, der Data Science, der Informatik und des Daten­schutzrechts anzu­reichern sein. Der Beruf des Steuerberaters wird fordernder, facet­tenreicher und auch wertvoller.

Author Profile

Heribert M. Anzinger
Heribert M. AnzingerUniversitätsprofessor für Wirtschafts- und Steuerrecht im Institut für Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung der Universität Ulm und Gastdozent für Steuerrecht an der Privaten Universität im Fürstentum Liechtenstein mit Forschungsschwerpunkten im deutschen, europäischen und internationalen Unternehmens-, Finanz- und Steuerrecht mit dessen Bezügen zum Zivil-, Bilanz-, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht.

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