Traditionelle Technologieführerschaft der Steuerberatung
Steuerberater gehören seit dem frühen Lochkartenzeitalter zu den Early Adopters der IT-Entwicklung. Manche gründeten bereits in den 1960er und 1970er Jahren eigene Softwareunternehmen, andere spürten frühzeitig Trends nach oder engagierten sich experimentierfreudig als Pilotanwender. Die DATEV e.G. und viele ihrer Wettbewerber waren Eigeninitiativen technikaffiner Beraterinnen und Berater. In einzelnen Bereichen gehörte der Berufsstand sogar in der Breite zu den Innovationstreibern. Ein Vorläufer der Breitbandtechnologie, ISDN („Integriertes Sprach- und Datennetz“ mit bis zu 160 Kilo-[sic!]-bit/s), fand maßgebliche Verbreitung durch die Nachfrage aus der Steuerberatung („In Sekunden Datev Nutzen“). Im technologischen Wettbewerb, insbesondere im Bereich von Buchführungsdienstleistungen und Steuerdeklaration, war die Steuerberatung meist einen Schritt voraus.
Verändertes Wettbewerbsumfeld
Für Rationalisierung durch Digitalisierung bietet aber gerade das Brot und Buttergeschäft der Buchführung und Steuerdeklaration viel Angriffsfläche. Die Verbreitung des Internet als Vermarktungsplattform, neue Recherchetools, neue Technologien der Belegverarbeitung und moderne Entwicklungsumgebungen erleichtern den Zugang für junge innovative Tax Tech-Unternehmen sowohl zum Markt der Mandate als auch zu Expertenwissen und Softwaretechnologien. Hinzu kommt viel Risikokapital, das nach Anlagemöglichkeiten in innovative Geschäftsmodelle der Fintechs und Taxtechs sucht. Will die Steuerberatung sich in diesem neuen Marktumfeld behaupten, muss sie entweder auf bröckelnde regulatorische Mauern vertrauen oder sich verändern.
In Köln ist kürzlich auf einer gut besuchten Veranstaltung des Kölner Steuerforums mit frischen Gedanken reflektiert worden, wie diese Veränderung in der Steuerberatung und in ihrem Umfeld aussehen könnte. Bestätigt fand sich in den einleitenden Befunden aus der Wirtschaftsinformatik (Prof. Dr. Fettke, Universität Saarbrücken) und der Beratungspraxis (Prof. Dr. Ley, Ebner Stolz) die These, dass der Erlösbeitrag der Buchführungsdienstleistungen und der Steuerdeklaration auch bei kleinen und mittleren Beratungsunternehmen deutlich sinken wird. Aufhorchen ließen die Perspektiven, die sich aus den Funktionen des Steuerberaters als Berater und als Rechtsbeistand in Steuersachen ergeben. Die Rolle des Steuerberaters als Ratgeber des Unternehmers ist unumstritten und deren Stärkung als Perspektive bereits viel diskutiert worden. Zu wenig reflektiert wurde aber bislang die Rolle des Steuerberaters bei der Verwirklichung der Grundrechte der Mandanten in einer digitalen Lebenswelt. Auf den Facettenreichtum und die Rolle des Datenschutzes im Besteuerungsverfahren ist auch auf dieser Veranstaltung erst aus der Außenperspektive der Rechtsprechung (Prof. Dr. Mellinghoff, Bundesfinanzhof) hingewiesen worden.
Entwicklungshoheit der Finanzverwaltung – Steuerberatung als „Brückentechnologie“?
Die Finanzverwaltung erkennt die Potentiale der Digitalisierung im quellennahen Zugriff auf Steuerdaten bei Dritten und im Aufbau großer zentraler Datensammlungen. Nach ELSTAM und KISTAM soll für die Grundsteuer die nächste bundesweite Datenbank aufgebaut werden, ein zentrales Grundstücksverzeichnis verknüpft mit Eigentümer-Steuer-ID und Grundstückwerten. Die vorausgefüllte Steuererklärung wird mit Daten aus der Cloud der Finanzbehörden und Daten Dritter befüllt. Der Steuerpflichtige soll mit den ihn betreffenden Datenströmen möglichst nicht behelligt werden, sondern sich bequem in die staatlich bereitgestellte Cloud fallen lassen. Auch um Risikomanagementsysteme braucht und soll er sich nicht kümmern. Vorsorglich wird ihm der ungefilterte Einblick in die eigene Akte mit Ausnahme des „Frontend“ der vorausgefüllten Steuererklärung verwehrt. Die Steuerberatung erfüllt in diesem Zukunftsmodell allenfalls die Rolle einer Brückentechnologie. Das gilt wohl auch für die Rechtsprechung. Gerichte sollen sich mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Besteuerungsverfahren auch nach dem Willen des deutschen Steuergesetzgebers möglichst nicht beschäftigen. Kommt Digitales Recht vielleicht sogar ganz ohne Gewaltenteilung aus?
Neugewichtung des Datenschutzes in der Steuer-Cloud
Mit der Neugewichtung des Datenschutzes in der Cloud, der öffentlichen Diskussion über Facebook und Cambridge Analytica, eines wachsenden Bewusstseins für Corporate Digital Responsibility und eines omnipräsenten Systems des automatischen Informationsaustausches mehren sich indessen auch die Fragen nach der Verhältnismäßigkeit anschwellender Datenströme und zentraler Datenbanken der Finanzbehörden. Wiederentdeckt wird der Wert der Eigenverantwortung der Steuerpflichtigen in Steuerdeklaration und Steuerverifikation. Lange übersehen, eröffnet sich hier ein neuer Aufgabenbereich für die Steuerberatung. Buchführung und Steuerdeklaration war nie etwas anderes als die treuhänderische Erhebung, Verifikation, Aufbereitung und Weitergabe der Daten des Steuerpflichtigen in dessen Auftrag und Interesse an die Finanzbehörden. Diese Aufgabe ist nicht weggefallen, sie hat sich nur gewandelt. Sie ist anspruchsvoller geworden.
Steuerberatung 4.0: Beratung, Grundrechtsschutz und Datentreuhand
Steuerberatung 4.0 hat die Aufgabe, die Steuerpflichtigen im Prozess der Digitalisierung zu beraten und vor Eigenverantwortungsverlust zu schützen. Steuerberater werden gebraucht, um digitale Daten der Steuerpflichtigen von diesen und von Dritten entgegenzunehmen, zu prüfen und geprüft an die Finanzbehörden weiterzugeben. Sie werden gebraucht, um Auskunft einzuholen über die bei den Finanzbehörden gespeicherten Daten und sie werden gebraucht, um die Algorithmen der Finanzbehörden zu verifizieren, nach denen diese Risikoprüfungen vornehmen, Schätzungen durchführen und Entscheidungen treffen. Steuerberater sind unverzichtbar, um die Grundrechte der Steuerpflichtigen im Tagesgeschäft zu schützen und wo es nötig ist, den Rechtsweg zu empfehlen und zu begleiten. Wo diese Aufklärung und Begleitung fehlt, läuft in einem in die Cloud verlagerten Besteuerungsverfahren der Steuerrechtsschutz leer, er wird nicht mehr gesucht. Der Rechtsstaat geriete in ein Ungleichgewicht, noch bevor über steuerlich motivierte Sachverhaltsgestaltung und Anzeigepflichten für Steuergestaltungen gesprochen werden könnte.
Anforderungen an die Ausbildung und die Verantwortungsbereitschaft
Aus dieser anspruchsvolleren Funktion der Steuerberatung ergeben sich Anforderungen an die Ausbildung und die Verantwortungsbereitschaft. Mit dem Datenschutz mussten sich Steuerberaterinnen und Steuerberater ohnehin seit jeher beschäftigen. Strenge Maßstäbe folgen nicht erst aus der Datenschutzgrundverordnung, sondern bereits aus dem Mandatsverhältnis. Lange schien Datenschutz als lästige Pflicht in eigenen Angelegenheiten. Jetzt geht es aber darum, die Rechte der Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren zu wahren und deren informationelle Eigenverantwortung sicherzustellen. Steuerberater müssen Algorithmen verstehen und Datenströme nachvollziehen können, um die Geltung des materiell wahren Sachverhalts gegen die bequemere Information aus der Cloud, gegen Wahrscheinlichkeitsurteile und Schätzverfahren zu verteidigen. Vielleicht wäre es gar sinnvoller, die Steuerberater würden die Veranlagung im Rahmen eines Selbstveranlagungsverfahrens selbst in die Hand nehmen, statt sich zukünftig mit Chat Bots der Finanzbehörden auseinanderzusetzen. Das setzt freilich Risiko- und Verantwortungsbereitschaft voraus.
Der Ausbildungskanon im Wirtschafts- und Steuerrecht, in den volks- und betriebswirtschaftlichen Grundlagen und im Rechnungswesen wird jedenfalls noch stärker um Elemente der Unternehmensführung, der Data Science, der Informatik und des Datenschutzrechts anzureichern sein. Der Beruf des Steuerberaters wird fordernder, facettenreicher und auch wertvoller.
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