Es vergeht kaum mehr ein Monat ohne Konferenz zur Digitalisierung des Rechts. Auf den Tagungen werden nicht nur Innovationen präsentiert und mit Chatbots und Expertensystemen erste konkrete Anwendungen künstlicher Intelligenz in der Rechtsberatung vorgestellt. Immer öfter wird dort auch eine Reform der Anwaltsausbildung angemahnt. Programmierkurse, so ist zu hören, sollten zum Pflichtbestandteil der juristischen Studiengänge gemacht werden. Gehört zur Befähigung zu den Voraussetzungen der Anwaltszulassung, heute auch die Fähigkeit, zu programmieren? Eine Einschätzung von Prof. Dr. Heribert Anzinger
Anwälte mussten sich zu allen Zeiten mit den Geschäftsmodellen und der Lebenswirklichkeit ihrer Mandanten vertraut machen. Wer im Banken- und Kapitalmarktrecht berät, muss die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten verstehen. Wer im Internet- und Medienrecht beraten möchte, muss die technischen Zusammenhänge erschlossen haben. Diese in Teilbereichen notwendigen ökonomischen und technischen Kenntnisse waren bisher kein Grund, ins Pflichtprogramm der Juristenausbildung Vorlesungen in Wirtschaftsmathematik oder zu Grundlagen der Rechnernetze zu integrieren. Wenn Smart Contracts, Blockchain-Technologien und Initial Coin Offerings (ICOs) nun die Lebenswirklichkeit erobern, scheint das nur auf eine neue Spezialisierung und die damit verbundene Notwendigkeit hinzudeuten, sich bei entsprechender Ausrichtung das notwendige Spezialwissen anzueignen. Besteht also kein Grund für die Einführung neuer digitaler Pflichtveranstaltungen in Studium und Referendariat, sondern nur zur Anpassung der Wahlfachkataloge?
Wenn sich die grundlegenden menschlich-juristischen Aufgaben – Argumentieren, Entscheiden und Begründen – in naher Zukunft günstiger und zuverlässiger durch Automaten erledigen lassen, scheinen die Tage der Juristen gezählt. So weit wird es aber nicht kommen. Anwälte sind keine Subsumtionsautomaten. Der überwiegende Teil ihrer Arbeit besteht im Umgang mit Menschen und in der Ergründung der Sachverhalte und Interessen. Aber ein wesentlicher Teil besteht eben auch in juristischer Recherche sowie der Ausfertigung von Schriftsätzen und Verträgen mit immer wiederkehrenden Klauseln. Diese Aufgaben lassen sich automatisieren. Und der Wettbewerb wird bewirken, dass dort, wo automatisiert werden kann, auch automatisiert wird.
Die Software zur Automatisierung juristischer Aufgaben kommt selten von der Stange. Sie muss angepasst und weiterentwickelt werden. Diese Aufgaben passen zum Berufsbild des Programmierers, des Wirtschaftsinformatikers und der Systemtechniker. Sie sind aber eng mit den juristischen Methoden verwoben. Anwälte die im Wettbewerb bestehen wollen, müssen also in Zukunft entweder in der Lage sein, Software selbst anzupassen oder zu verstehen, was spezialisierte Dienstleister mit der Software leisten können und was nicht. Vor allem aber müssen Anwälte mit zunehmendem Einsatz von Assistenzsystemen wissen, wo die Schwächen der Technik sind, um Fehler zu erkennen und Risikovorsorge zu betreiben. Dazu muss man kein geübter Programmierer sein, aber man sollte verstehen, welchen Abläufen die Programme folgen.
Programmierkenntnisse allein werden dem Anwalt der Zukunft aber wenig nutzen. Das eigentliche „Coding“ ist ohnedies eine technische Aufgabe, die Spezialisten überlassen bleiben sollte. Wichtiger ist ein Grundverständnis weiterer Techniken. Behörden und Unternehmen, die im Massengeschäft tätig sind, wie Versicherungen, Telekommunikations- und Transportdienstleister, setzen zunehmend in vorprozessualen Rechtstreitigkeiten auf automatisierte Kommunikation und verwenden dabei Chatbots. Diese Rechtsroboter erstellen Schriftsätze nicht mit einprogrammierten Textbausteinen. Sie ahmen die Tätigkeit von Anwälten und Unternehmensjuristen nach und bringen sich durch die Auswertung älterer Schriftwechsel juristischen Sachverstand und Argumentationstechnik selbst bei. Das funktioniert erstaunlich gut. Zum Verständnis der Stärken und Schwächen dieser Technik gehören Kenntnisse über maschinelles Lernen und maschinelle Sprachverarbeitung (Instruktiv: Gerhard Völkl, Wie Programme lernen und: American Bar Association, Warren E. Agin, A Simple Guide to Machine Learning). Anwälte der Zukunft müssen wissen, wie Chatbots funktionieren, wenn sie sie einsetzen und wenn sie sich ihnen gegenübersehen. Wer die Prozesse durchschaut hat, wird kosteneffizient beraten und im Austausch der Argumente überlegen bleiben.
Schließlich werden die neuen Technologien auch das Recht selbst verändern. Wenn Techniken des automatisierten Argumentierens, Entscheidens und Begründens auf allen Ebenen auf dem Vormarsch sind und bisherige Streitschlichtungsmechanismen ergänzen, wandeln sich früher oder später auch die Methoden der Rechtsfindung. Damit müssen sich Anwälte, Studierende, Rechtsreferendare und die Rechtswissenschaft auseinandersetzen. Dieser Aspekt spricht für eine Veränderung des Curriculums der Grundlagenfächer.
Anwälte der Zukunft müssen nicht programmieren können. Aber sie müssen verstehen, wie Programme funktionieren. Und darüber hinaus werden sie auch wissen müssen, auf welchen Wegen juristische Argumente von Maschinen in automatisierten Entscheidungsprozesse formuliert werden. Diese neuen Anforderungen sprechen für eine Reform der Juristenausbildung, die die Grundlagenfächer stärkt und dort auch die neuesten technologischen Entwicklungen integriert.
Universitäten haben die neuen Entwicklungen bereits entdeckt und bieten neben Promotionskollegs (Universitäten Heidelberg und Ulm) auch für die breite Anwaltspraxis erste Vortragsreihen und Weiterbildungsprogramme an (Bucerius Law School). Das erforderliche Hintergrundwissen lässt sich noch im Selbststudium erwerben. Dazu werden auch auf dieser Plattform regelmäßig Hinweise zu finden sein. Zur Lektüre lässt sich derzeit eine englischsprachige Neuerscheinung besonders empfehlen: Kevin Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics – New Tools for Law Practice in the Digital Age, Cambridge University Press 2017.
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